Albert Kuhn in der Weltwoche vom 07.08.03 Jawoll, er kann's er hat's geschafft: «Züri Brännt»-Mitautor Paul Weixler veröffentlicht nach 25 Jahren sein erstes Album. Jö, wie härzig, eine neue Mundartplatte. «I mim Zimmer älei mit dir» schmelzt der Sänger in breitestem Schwamendingerdeutsch, «gspür ich dich ganz nöch bi mir. Du und ich, Aug in Aug, lueged mer zäme dass öppis lauft.» Das Stück heisst «Hund», ist ursprünglich von Iggy Pop und der Text wird gleich konkreter: «Ich sitze uf mim Lieblingsplatz und spring di aa mit eim Riesesatz. Ich nimm die a dine Hosebei und pack di uus mit eim Hueregschrei.» Und jetzt, gesteht Paul Weixler, 49, möchte er ganz einfach ihr Hund sein. Auf allen Vieren, so geht es zu und her auf diesem Album, das in die Schweizer Mundartszene einschlägt wie ein Bombe bei hellichtem Tag. Und zwar eine mit Lang- und Breitenwirkung. Denn zu den sextriefenden Texten leistet sich die Musik den Luxus, so volkstümlich zu klingen, als dröhne sie aus einer leicht defekten Jukebox irgendeiner Knelle an der Langstrasse oder im Muotathal. Etwa «Humor», eine Version des Traditionals «Shame and Scandal in the Family». Inhalt: Junge will Mädchen heiraten, Papi sagt, das geht nicht, das ist deine Schwester aber Mami weiss nichts. Dasselbe passiert bei der nächsten Flamme, ebenfalls ein Uneheliches. Nun schüttet er sein Herz bei Mami aus, aber die winkt lachend ab: «Din Papi'sch nöd din Papi, aber din Papi weiss nüd.» Oder er verliebt sich ins Fräulein an der Kasse, worauf ihm doch tatsächlich die Jeans zu eng werden und platzen. Er versucht sein Teil zu verstecken, worauf der Ladendedektiv aufmerksam wird und der Verehrer gleich doppelt an die Kasse kommt. Ein Stück weiter singt Wexler, er kenne keine Frauen, die nicht auf ihn stehen würden, «so fescht si nur chönd». Die volle Ironie. Abgegangen sei's für Paul vor allem früher, in den WGs, alle mit allen, ein Paradies. Später sei alles schwieriger bis unmöglich geworden, hätten ihn die Schatten seiner Kindheit eingeholt - einer Mutter, deren Zuwendung aus Ohrfeigen bestanden, eines Stiefvaters, der ihm von Jeans über Rock'n'Roll bis zu langen Haaren nahezu alles verbot, was man in den 60er Jahren so brauchte und der sich an den drei Kindern verging, bis er in den Knast und Paul ins Heim kam. «Ich traf seither viele, denen dasselbe passierte. Die Nachbarn hören einem schon schreien. Aber es dauert Jahre, bis sich jemand getraut, die Polizei anzurufen.» Home sweet home. Und so musste es «Freiwild» heissen, sein Album. Beim Interview im Zürcher El Lokal erzählt Paul Weixler, wie er sich dagegen gewehrt hätte, dass seine Opfer-Geschichte Kreise zog. Aber viele hätten genau dazu beigetragen, hätten ihm einreden wollen, er sei vom Teufel besessen. Nach seinem Vater auch Freundinnen, Therapeutinnen, Frauenbuchladenbesitzerinnen, die sich als Hexen outeten, dazu Gurus, Kursleiter und Heiler aller Sekten und Tonarten. Aber das Blatt wendet sich. Auf Weixlers erstem Album kommen Dinge zusammen, die normalerweise nicht zusammenkommen: Ein Sänger, der 25 Jahren lang ein Repertoire an wirklich fertigen und dichten Liedtexten ansammelt, die radikale Hippie-Weltumarmungsgefühle mit illusionslosen Strassenratten-Weisheiten kreuzen. Und eine Band, die Zürcher Happysad, welche Paul Weixler zwei Jahre unhonoriert an die Brust nahm: Der so erfahrene wie unverdorbene Gitarrist Heinz Rohrer mit seinem instinktiven Verständnis für heftigen Pop und verschärften Blues. Und die Happysad-Sängerin Barbara Hiestand, die aus Weixlers Bildli-Sammlung ein zauberhaftes Cover komponierte. Rohrer spielt nicht bloss die rasiermesserscharfe Gitarre, sondern erfand auch die Arrangements, die man sich kaum packender und herzlicher wünschen könnte. Gerade die Songs, die hart am Rand von Schlager oder Kinderlied manövrieren, erhalten eine Spezialbehandlung. Das zärtlich-schöne «Spatzeträum» kriegt eine Gitarre verpasst, die wie eine geplagte Katze um den Refrain jault. Und eine souveräne Akkordfolge, die den Sänger locker zum Song raus- und wieder reinlaufen lässt. Man könnte vielleicht einen Vergleich mit Göla konstruieren. Aber Göla ist Büezer, Realist und Oppliger. Paul Weixler dagegen Stadtindianer, Utopist und Schwamendinger, also Zürcher ohne GW. Und «Freiwild», bei allem Respekt gegenüber Gölä, ist Song für Song und Text wie Musik genial. Ein radikal liebendes Geschenk. Noch selten hat Zürich soviel Herz gezeigt. | |||